07.06.2012

Tabula rasa! Ungewöhnlicher Fund von der Burg Mylau

Die Luftaufnahme offenbart die beeindruckenden Ausmaße der Burg von Mylau. 
© Landesamt für Archäologie

Tiefgreifende Leitungsneuverlegungen machten im Oktober 2011 und im Mai 2012 die archäologische Untersuchung einzelner Bauabschnitte durch das Landesamt auf der Burg Mylau notwendig.

Baubedingt beschränkten sich die Beobachtungen auf schmale, trassenartige Schnitte im oberen und unteren Burghof sowie auf ein kleines Areal außerhalb der Wehrmauer. Die um 1180 vermutlich als Wehrburg im Zuge der hohen Kolonisation gegründete Burg Mylau ist die einzige weitgehend komplett erhaltene und zugleich größte Burganlage im sächsischen Vogtland. Aufgrund ihrer hervorragenden Erhaltung ist sie sowohl historisch als auch bau- und kunstgeschichtlich bedeutend. Die mächtige Anlage überbaut einen etwa 80 x 35 m messenden Bergsporn oberhalb der Göltzsch annähernd vollständig. Zum Fluss wird sie von einem Steilhang und auf den anderen Seiten durch Trockengräben geschützt. Der bis zur Stadt hinunter ausgedehnte Zwinger entstand im 15. Jahrhundert.
Die Burg und deren Ländereien um Mylau werden 1212 erstmals urkundlich erwähnt (provoncia Milin), als der deutsche König und spätere Kaiser Friedrich II. die Burg an König Ottokar I. von Böhmen überträgt. Als Burg findet die Feste nochmals 1323 (castrum Mylin) Erwähnung. 1367 erwarb Kaiser Karl IV. die Burg, die danach durch Karls verbrieften allerdings nur kurzen Aufenthalt im Volksmund den Beinamen „Kaiserschloss“ erhielt. Für 1372 ist sie jedenfalls als Schloss (die schlosse…Mylin) überliefert.

Archäologischer Befund: Romanische Wehrmauer

Die Reste der romanischen Wehrmauer im Burghof.
Die Reste der romanischen Wehrmauer im Burghof.  © Landesamt für Archäologie

Vermutlich bereits in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts wurde an der höchsten Stelle des Bergsporns ein romanischer Wehrturm errichtet. Durch die archäologischen Untersuchungen konnte nunmehr nachgewiesen werden, dass der Turm durch eine zusätzliche Mauer befestigt war. Ein entsprechendes Bruchsteinfundament mit der imposanten Breite von mindestens 2,50 m konnte in der Übergangszone vom oberen zum unteren Burghof erfasst werden. Diese Wehrmauer fiel vermutlich den Umbau- und Erweiterungsarbeiten im beginnenden 15. Jahrhundert zum Opfer, als die Wehr- zur Wohnburg mit Haupt- und Vorburg ausgebaut wurde.

Archäologischer Fund: Ungewöhnlicher und seltener Schreibgriffel

Der ungewöhnliche Kopf aus drei Würfeln zeichnet den Mylauer Griffel aus.
Der ungewöhnliche Kopf aus drei Würfeln zeichnet den Mylauer Griffel aus.  © Landesamt für Archäologie
Aus dem Fundmaterial ist vor allem ein geschnitzter Schreibgriffel (lat. Stilus) hervorzuheben , der aufgrund seiner ungewöhnlichen Form bislang ohne Parallelen zu sein scheint. Der kreuzförmige und 6,6 cm lange Stilus aus rotbraun verfärbten Knochen wurde im unteren Burghof in einer massiven, jedoch nicht sicher zu datierenden Auffüllungsschicht entdeckt. Der Kopf des Griffels besteht aus drei viereckigen Würfeln (0,6 x 0,7 cm), die über Stege um eine doppelkonische Durchlochung in der Kopfmitte gruppiert sind. Der runde Schaft ist geglättet (Dm 0,4 cm) und verjüngt sich zur Schreibspitze.
Die Würfelflächen sind mit einfachen Kreisaugen verziert, die sehr sauber und einheitlich ausgeführt wurden. Dafür setzte man einen dreizinkigen Bohrer auf die vorgesehene Stelle und drehte ihn so lang gleichmäßig um die eigene Achse, bis die Kreisaugen einheitlich tief in die Oberfläche eingebracht waren. Ihre Anordnung erscheint auf dem ersten Blick wahllos und rein ästhetisch, da sie weder vollständig sind noch einem gängigen Spielwürfelsystem folgen: Die Vorderseite zeigt die Fünfen, die Rückseite die Sechsen. Die Schmalseiten zeigen hingegen seitenverkehrt die Einsen und Zweien. Schaut man von oben auf den Kopf sind die Augen Vier, Vier und Drei zu sehen. Die Unterseiten der beiden äußeren Würfel sind hingegen unverziert.
Die Funktion der Schreibgriffel ist hinlänglich bekannt: Es sind Schreibstifte, die auch zum Verwischen (Glätten) des Textes auf einer Wachstafel dienten. Der Mylauer Griffel hebt sich durch seine außergewöhnliche Form und die aufwändige Gestaltung des Kopfes (Glätters) von den bisher bekannten Griffeln ab. Wir wollen nicht ausschließen, dass dieses einzigartige Stück durchaus dazu gedient haben könnte, den Punktestand eines Würfelspiels festzuhalten und/oder gar einen Spielplan auf einer Wachstafel aufzuzeichnen.
Die Datierung des Griffels ist aufgrund der Fundumstände und seiner bislang einzigartigen Form schwierig. Die Kreuzform weist allgemein in das ausgehende hohe bzw. das späte Mittelalter, wofür auch die Verzierung mit Kreisaugen spricht. In eine Zeit also, in der die Burg Mylau eine nicht unbedeutende Rolle im politisch-strategischen Gefüge des Reiches gespielt hat. 
Die Ergebnisse der Grabungen auf der Mylauer Burg haben einmal mehr gezeigt, wie hoch der Erkenntnisgewinn von archäologischen Untersuchungen selbst schmaler Leitungstrassen sein kann.
 

Dr. Christiane Hemker

Referatsleiterin Südwestsachsen: Landkreise Erzgebirgskreis (Altkreise Annaberg, Aue-Schwarzenberg, Mittlerer Erzgebirgskreis, Stollberg), Mittelsachsen (Altkreis Freiberg), Sächsische Schweiz-Osterzgebirge (Altkreis Weißeritzkreis); Montanarchäologie

Telefon: 0351 8926-673

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